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Szenenwechsel

 „Alles ändert sich so schnell; ich verstehe das nicht. Wieso sollte ich meinen Kaffee jetzt im Gehen trinken?“ Die Frau in den 50ern sitzt allein an einem kleinen, runden Tisch im Coffeeshop und nippt bedächtig an ihrem „half decaf Hazelnut Café Latte with foam an chocolate Topping in tall and not so hot“. Die Bestellung hatte 20 Minuten gedauert und zur Folge, dass die hippe Barista ihr zunehmend das Gefühl vermittelte, sie hätte eine Analphabetin vor sich.

 

Kollegen hatten ihr von dem Café vorgeschwärmt. Nun sitzt Anke hier also, fühlt sich ein kleines bisschen alt, hängt ihren Gedanken nach und ist sich nicht sicher, das bekommen zu haben, was sie eigentlich wollte. Durch die große Fensterscheibe beobachtet sie die Individualisten, die sich durch die Fußgängerzone tummeln. Sie haben Headsets am Ohr oder halten ihr Smartphone waagerecht auf Kinnhöhe. Einige scheinen etwas Wichtiges vorzuhaben, andere, selbst wichtig zu sein. Nein, Anke urteilt nicht über sie; sie beobachtet lediglich. Oft stellt sie fest, wie wundersam manches geworden ist. Gelegentlich fühlt sie sich dann alt – so wie vorhin kurz. Tatsächlich aber macht ihr das in letzter Zeit zunehmend weniger aus. Sie ist froh, manche Dinge anders kennengelernt zu haben und nicht jetzt, in dieser wundersamen Zeit, jung zu sein. Das mag zwar auch der Grund sein, mit der Zeit nicht ganz Schritt halten zu können – aber warum sollte sie auch?

 

Anke denkt an ihre Nichten. Wenn ihre Nichten etwas Amüsantes vorgesetzt bekommen, nehmen sie das mit einer Miene zur Kenntnis, die den Mount Rushmore regelrecht ausgelassen wirken lässt, um ihre Stimmung anschließend sachlich, treffend und mit nur einem Wort auszudrücken:

 „lol.“

 Anke hingegen lacht einfach, wenn ihr danach ist; auch auf die Gefahr hin, dass das ziemlich altertümlich rüberkommt. Und sie ist erstaunt über die Freundesmasse ihrer Nichten (der Begriff „Freundeskreis“ wäre hier nicht angemessen) sowie die Tatsache darüber, dass man den Umfang selbiger Masse je nach Belieben und Tagesform anpassen kann. Man kann Freunde ganz unkompliziert hinzufügen, ihnen folgen, sie entfernen, entfolgen, löschen oder blockieren. Freundschaften scheinen weniger wertvoll geworden zu sein, zumindest nicht mehr so, dass man sie sich verdienen müsste und bewahren möchte; eher etwas für zwischendurch – Fast Friendship sozusagen. Manches hingegen ist eher komplizierter geworden. Kaffee bestellen, zum Beispiel.

 

Der kurze Blick auf die Uhr des Smartphones setzt Anke darüber in Kenntnis, dass sie noch ein paar Minuten auf ihre Verabredung würde warten müssen. Sie sieht hinüber zur Kasse und beobachtet, wie zwei junge Männer bezahlen. Einer von ihnen hält seine Girocard kurz vor das Lesegerät, der andere flirtet mit der Barista. Daraufhin verlassen die beiden den Coffeeshop. Auch so eine Sache – Bezahlen ist unkompliziert geworden; es lässt sich im Vorbeigehen erledigen.

 Einfachheit generell im Leben scheint wiederum nicht so ohne weiteres umsetzbar. Da braucht es eine Marie Kondo, die beim Aufräumen hilft, einen minimalistischen Trend, eine capsule Wardrope und Life-Hacks, um das Wesentliche aus dem Keller der normalen, menschlichen Bedürfnisse hervorzuholen und abzustauben.

 

Eine Männerstimme reist Anke aus ihren Gedanken. „Wartest du schon lange?“ Sie sieht auf, denkt noch schnell an die mühsame Kaffeebestellung und die wundersame Zeit und lächelt. „Eine halbe Ewigkeit.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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