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Krieg und Frieden

Fast zwölf Jahre lang, habe ich einen beinharten Kampf gekämpft. Ausgerüstet mit einem derart eisernen Willen, Kalkül und hervorragenden strategischen Plänen, dass Sun Tzu für seine Kunst des Krieges noch etwas hätte lernen können. Anfangs einst ein strenges Regiment unter meiner diktatorischen Hand, erkämpften sich die Aufständischen der Opposition nach und nach immer mehr Demokratie. Putschversuche und Revolten nahmen zu. Es gab andauernde Proteste (nicht nur freitags) und lautstarke Kundgebungen. Also ging ich in die Offensive, um diesen drohenden Umschwung zu unterbinden. Es folgten erbitterte Schlachten eines langen Antiregimekrieges.

 

 

 

Und nun - nun ist es soweit.

 

 

 

Ich rufe es lauthals in die Welt und schäme mich kein bisschen:

 

 

 

Ich! Habe! Aufgegeben! Ich kapituliere! Ich trete meine Führungsrolle ab.

 

 

Verletzte gab es keine. Einziges Kriegsopfer sind meine Nerven.

 

 

Kriegsschauplatz: die Küche.

 

 

 

Kontrahent: die hartnäckigsten Antagonisten gesunder Ernährung – meine Familie.

 

 

 

Vor zwölf Jahren hatte ich ein Regierungsprogramm; rigoros und kompromisslos. Ich las Informationsbroschüren über gesunde Ernährung, studierte Inhaltsangaben auf Verpackungen, übersetzte E-Nummern, kaufte in Bio-Läden. Ich dünstete und pürierte was das Zeug hielt. Babygläschen gab es nur gelegentlich und wenn, dann war es ja eh bio. Süßes gab es erst ab einem gewissen Alter. Später, im Kindergartenalter, traten erste Differenzen zu Tage. Also mischte ich püriertes Gemüse heimlich unters Essen, ja, verbuk es sogar in Kuchen und hielt weiterhin an meiner politischen Ideologie fest.

 

 

 

Wie bei vielen anderen Müttern auch, zweifle ich oft genug an mir. Schlechtes Gewissen ist mein zweiter Vorname. Aber auf dem Gebiet der gesunden Ernährung hatte ich mir absolut nichts vorzuwerfen. Na gut, vielleicht Unausgeglichenheit.

 

   

 

Was passiert ist, wollt ihr wissen? Nun ja, wie soll ich es sagen …. . Die Kinder wurden …

 

 

 

größer. Zu dem erkannte ich den Wert meiner eigenen Zeit.

 

 

 

Jeden Mittag verbringe ich eine gefühlte Ewigkeit in der Küche. Überlege sorgfältig was es zu Essen geben könnte, unter Berücksichtigung der Mahlzeiten der vergangenen sowie folgenden Tage. Ich schäle, schneide, koche, wasche ab, räume auf. Und gegessen wird … fast nichts.

 

 

 

Gibt es aber an sehr stressigen Tagen eine – wie ich es gern nenne – chemische Hühnersuppe aus der grünen Tüte, bekomme ich zu hören, wie lecker das schmeckt und ob es noch Nachschlag gäbe. Abzuräumendes Geschirr gibt es fast nicht.

 

 

 

Obwohl mein kleines, ernährungsfanatisches Herz innerlich auf´s Bitterste weint, quasi herzzerreißend, erkannte mein Verstand schnell die Vorteile dieser Mahlzeiten:

 

 

 

Ich kann länger Arbeiten oder mittags vor Schulschluss noch etwas Zeit für mich genießen, habe nach dem Mittag weniger Arbeit, die Kinder essen nicht mehr wie die Spatzen und die Stimmung am Tisch ist entspannter.

 

 

 

Also oute ich mich nun und gebe es zu: Bei uns gibt es jetzt öfter Fertigessen. Ich bevorzuge die simpelten One-Pot-Gerichte wie etwa Milchreis oder schmeiße schnell Wedges in den Ofen. Das umfangreiche Kochen habe ich auf ein paar Tage in der Woche reduziert.

 

 

 

Ich bin deswegen keine schlechte Mutter. Meine Kinder leben noch und haben keine Allergien. Und ich habe auch keine Angst, dass hier nur noch mit Chipstüten in der Hand rumgelaufen wird oder wir überwiegend schottisch Essen gehen.

 

   

 

Denn ich spüre, dass ganz tief in mir der Ernährungsdiktator noch da ist und der wird den absoluten Untergang zu verhindern wissen. Er ist lediglich zeitweise ein wenig eingeknickt. Momentan bezeichne ich mich als eine Mutter mit temporären Tendenzen zur nonchalanten Handhabung der flexiblen Ernährung und Konzessionen einer gewissen Autonomie der Revoluzzer zur Findung alternativer Nährmittel . Und ansonsten genieße ich den Frieden der Demokratie.

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