Da kommt sie wieder. Die Welle bahnt sich langsam an und baut sich vor ihm auf. Und er, er steht am Ufer und kann nicht weg. Wie betäubt steht er da. Aber was soll er auch sonst tun? Als die Wellen damals zu rollen anfingen, versuchte er davonzulaufen. Es hatte nichts gebracht. Die Wellen holen ihn jedes Mal wieder ein. So steht er da und wartet, dass es vorübergeht.
Es läuft jedes Mal gleich ab: Der Herzschlag wird stark und schnell und beschleunigt weiter, als würde sein Herz das Blut mit durchgetretenem Gaspedal durch den Körper transportieren wollen. Schließlich rasen die Schläge nur so dahin, dass es ihn überrascht, dass es noch an Ort und Stelle bleibt.
Mit dem Tempo ohne Limit steigt die Hitze auf. Schweiß bildet sich auf der Stirn, manchmal zittern seine Hände. Dann kommt das Schlimmste: Der Moment, in dem die Welle krachend über ihm zusammenbricht und die Luft zum Atmen fehlt. Die Lungen scheinen nicht mehr genügend Volumen hergeben zu können. Wenn es keiner sieht, hält er sich an irgendetwas fest, beugt sich von über und hofft inständig, nicht zu ersticken.
Kurz danach ist der Tsunami vorüber. Genauso schnell, wie er gekommen ist. Zurück bleibt er allein am Ufer und sieht zu, wie sich das Wasser zurückzieht; verschwitzt, verunsichert, auf Beinen, die ihn nicht mehr zu tragen vermögen.
Seit fast drei Monaten überfluten diese Stürme seine Welt und inzwischen droht er daran zu ertrinken. Sein inneres Gleichgewicht liegt in Trümmern.
Das erste Mal geschah es in der Mittagspause. Es war eine ganz gewöhnliche Mittagspause, an einem ganz gewöhnlichen Tag, in seinem ganz gewöhnlichen Leben. Als sein Herzrhythmus sich bemerkbar machte, was sein erster Gedanke der, dass er heute Vormittag doch besser auf den dritten Becher Kaffee hätte verzichten sollen. Mit Ende 30 findet er sich eigentlich noch zu jung für Herzprobleme. Der Schweißausbruch irritierte ihn. Aber als ihm die Luft ausblieb, bekam er Angst. Die zweite Welle ließ sich eine Woche Zeit und überraschte ihn, als er gerade auf dem Weg nach Hause war. Er fuhr rechts ran und umklammerte das Lenkrad so fest, dass die Fingerknöchel hell hervortraten.
In der Zeit danach, machte er sich so seine Gedanken darüber und kam vom Denken ins Grübeln, was ihm den Schlaf raubte. Die immer wiederkehrenden Tsunamis und deren unberechenbares Auftreten nahmen ihm die gute Laune. Er war erschöpft, kraftlos, ausgelaugt.
Mit der Zeit hing eine anthrazit farbene Wolke so tief über ihm, dass sie ihn fast einzuhüllen drohte. Dann konnte er weder fühlen noch denken. Die Wolke ist übrigens öfter da, als der Tsunami.
Aber was sollte er tun? Davon erzählen? Und was sollte er dann sagen? Etwa, dass er ohne ersichtlichen Grund Angst hatte und eigentlich auch nicht genau weiß wovor? Dass es ihn Kraft kostete, den Stürmen standzuhalten; soviel Kraft, dass das einzige Gefühl, das er noch hat, Gleichgültigkeit ist? Und wie sollte das jemand verstehen?
Dennoch will er es heute versuchen. Weil er entweder einen Rettungsring oder Surfunterricht braucht. Er holt noch einmal tief Luft, betritt das Behandlungszimmer und erzählt seine Geschichte von der Welle.
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