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Log(down)-Buch: Tag 25

oder: Die Liebe in Zeiten des Corona

 

Frustrationstoleranz: sinkend

Verwirrung: wächst

 

Eigentlich sollte ich nicht hier sein. Eigentlich wäre ich jetzt im Kurzurlaub, würde an der Ostsee sitzen, die Meeresluft genießen, mir vornehmen, in Ruhe zu schreiben und es dann nicht umsetzen.

Stattdessen hänge ich zu Hause ab, schreibe doch, obwohl genaugenommen nichts Erzählenswertes geschieht und bekomme eine leise Ahnung von dem Gefühl, im eigenen Land eingesperrt zu sein.

 

Ich behaupte einfach mal, dass mir das normalerweise nichts ausmachen würde. Das, was mir etwas ausmacht, sind stumpfsinnige Egoisten, die ungeachtet der Umstände ihr Ding durchziehen.

Natürlich ist dieser Typus nicht neu und trat schon immer in den verschiedensten Situationen in Erscheinung – du versuchst umweltbewusst zu leben, er schnippt seine Kippe weg; du hältst dich an das Reißverschlussverfahren, er klebt permanent an der Stoßstange seines Vordermanns; du bewahrst, trotz des verspäteten Zuges, bemüht die Ruhe, er pöbelt das Personal an … .

Nur in der jetzigen Lage springt das konsequente Ignorieren (lebens-)wichtiger Richtlinien einem dermaßen ins Auge, dass es fast physische Schmerzen bereitet oder zumindest den innigsten Herzenswunsch auslöst, sich diese kaum zu ertragende Borniertheit aus der Seele zu schreien und besagten Typus kräftig durchzuschütteln.

 

Ich sehe vollbesetze Autos an mir vorüberfahren, feucht-fröhliche Männerrunden auf dem Balkon gegenüber und mich mit Begriffen wie „Baumarkt-Tourismus“ konfrontiert. Ein solches Verhalten macht es einfach schwerer, eine akzeptierende Einstellung beizubehalten. Oder gab es irgendwo einen Zusatz, den ich verpasst habe – vielleicht den 10. Punkt der Leitlinien vom 22.03.: „Diese Maßnahmen gelten verbindlich für alle Bürgerinnen und Bürger; ausgenommen sind jene, die keinen Bock drauf haben?“

Und was genau habe ich mir übrigens unter „Baumarkt-Tourismus“ vorzustellen?

Dichtes Gedränge und ausgelassene Stimmung an der Wurstbude auf dem Parkplatz. Ich sehe Männer, vor mir, die die Ausstellungsstücke der Grillmodelle einfach direkt mal testen, Frauen die mit Cocktails in der Hand durch die Gartenabteilung flanieren oder Gesprächskreise bei der Deko bilden und Kinder, die im Holzlager Verstecken spielen. Ein paar Halbstarke hängen bei den Gartenmöbeln ab und versuchen, sich aus Flanschen und Schläuchen eigene Shishas zu bauen. Bei den Gartenhäusern findet ein Workshop statt: „Schuppen-Pimping – Platz für eine optimale Vorratshaltung“; Klopapier-Hamsterkäufer sind bei den Sanitäranlagen ganz in ihrem Element und überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, den zwanzig Jahresvorrat durch ein, zwei neue WC's harmonisch abzurunden. Sie erforschen die Unterschiede diverser Spülgänge, diskutieren aufgeregt den Wasserverbrauch und planen – in Vorbereitung auf erhebliche Abnutzungserscheinungen – fancy Klobrillen für einen abwechslungsreichen Look in petto zu haben. Zwischen all dem tummeln sich Spaziergänger und Jogger, die sich über neue Routen freuen.

Die Abstandhalten-Klebestreifen sind bereits 15 Minuten nach Ladenöffnung weggetreten; die Schlangen an den Kassen ziehen sich durch den ganzen Markt. Aus lauter Überschwang wird gleich noch eine Polonaise gebildet. Ja, so viele soziale Kontakte sind einfach erfrischend und für nächstes Wochenende haben sich alle zu einem Ausflug zu OBI verabredet.

 

So ganz gebe ich die Hoffnung bei den Egos aber nicht auf. Vielleicht würde sich der ein oder andere gern auch an die Richtlinien halten, kann es aber nicht umsetzen, weil diese je nach Bundesland variieren und so eine Schneise der Verwirrung nach sich ziehen; besonders angesichts der bevorstehenden Feiertage.

So dürfen sich in Nordrhein-Westfalen Verwandte in gerader Linie zusammen im Freien aufhalten, wenn sie Abstand halten. Hingegen gelten in Bayern, Sachsen, Berlin, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und das Saarland die Ausgangsbeschränkungen und die eigene Wohnung darf nur aus "triftigem Grund" verlassen werden (Arbeiten, Einkaufen, Arztbesuche). Dennoch sind Sport und Bewegung an der frischen Luft erlaubt, je nach Bundesland und Laune entweder allein, mit einer anderen Person oder jemandem aus dem Haushalt.

Dabei ist „längeres Verweilen“ hier erlaubt und dort nicht. Was genau das einschließt, liegt dann im Ermessen der Polizei. Bevor man da sich jetzt noch genauer festlegt … .

In Ländern mit Ausgangsbeschränkung dürfen Angehörige nicht besucht werden, in Ländern mit Kontaktverbot dürfen sich Kinder und Eltern besuchen. Für getrennt lebende Paare und pflegebedürftige Angehörige gibt es wieder andere Regelungen.

Und während man sich in Nordrhein-Westfalen mit Freunden zum Abendessen bei sich zu Hause treffen darf, so erlauben es die Richtlinien anderswo, nur mit der engsten Familie oder Mitbewohnern im Garten zu dinieren.

 

Was ist denn, wenn ich aus Nordrhein-Westfalen komme, wo ich Verwandte oder Freunde besucht habe und auf dem Heimweg nach Hamburg in Niedersachsen kurz bei einem Baumarkt halte? Geht das?

Bei allem soll natürlich bedacht werden, dass "die Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstandes auf ein absolut nötiges Minimum" reduziert sein sollten.

 

Jetzt bin ich auch verwirrt.

Leute, ihr macht mich fertig. Ich will ans Meer.

 

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